Fachtagung KommunikationsFluten am 6. November in Leipzig
Dokumentation
Wir danken allen Anwesenden für das rege Interesse und die bereichernden Diskussionsbeiträge. Zur Dokumentation der Vorträge
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Foto: Andreas Lamm
Hans-Peter von Kirchbach (General a.D.)
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Landesbranddirektor des Freistaates Sachsen René Kraus
Moderator André Böhmer (LVZ)
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Sven Jahny (MDR)
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Julian J. Rossig (Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.)
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Stephan Seeger (Bundeswehr)
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Das Fachpublikum
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Daniel Neumann (Fluthilfe Dresden)
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Veronika Lowke (Sächsischer Landkreistag)
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Dr. Christian Kuhlicke (UfZ)
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Prof. Gerhard Heyer (InfAI)
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„Staatliche Stellen müssen die Organisationshoheit behalten“
Journalisten, Wissenschaftler und Behördenvertreter diskutieren auf EIJK-Tagung in Leipzig Lehren aus den Hochwasserkatastrophen 2002 und 2013 in Sachsen
Zur Internationalen Tagung über Kommunikation während der Flutkatastrophen 2002 und 2013 in Sachsen, „KommunikationsFluten“, kamen am 6. November 2015 Experten aus öffentlichen Verwaltungen, Katastrophenstäben und Medien im Mediencampus „Villa Ida“ zusammen. Übereinstimmung bestand darin, dass der Freistaat Sachsen aus der Flut 2002 gelernt habe und die Erfahrungen aus diesem Ereignis bereits 2013 anwenden konnte. „Hatten wir 2002 noch eine lückenhafte Vorbereitung bis zur obersten Ebene, bildete sich 2013 ein ressortübergreifender Verwaltungsstab bereits vor dem Hochwasser“, fasste General a.D. Hans-Peter von Kirchbach zusammen, der die unabhängigen Kommissionen der Sächsischen Staatsregierung zur Untersuchung der beiden Hochwasserereignisse geleitet hatte. Ein verbessertes Hochwasser-Prognosesystem, gestraffte Wege für Warnmeldungen und konkrete Handlungsanweisungen je nach Warnstufe hätten ebenso wie ein verbesserter Datenaustausch mit den Nachbarländern dazu geführt, das Hochwasser 2013 besser zu bewältigen.
Ein neues Phänomen habe sich beim Hochwasser 2013 mit der starken Zunahme freiwilliger Helfer ergeben, so von Kirchbach: „Diese organisieren sich über soziale Medien ungesteuert und unbeeinflusst von staatlichen Stellen.“ Veronika Lowke, Stellvertretende Geschäftsführerin des Sächsischen Landkreistages und dort für das Thema Katastrophenschutz zuständig, zeigte an Beispielen, wie freiwillige Helfer willkommene, zum Teil aber auch überflüssige oder gar störende Unterstützung leisteten: „Hier ist eine stärkere Koordination notwendig. Die offiziellen Stellen müssen auf allen Ebenen lernen, freiwillige Hilfe anzunehmen und zu steuern“, so Lowke. Von Kirchbach forderte: „Die staatlichen Stellen müssen im Katastrophenfall die Organisationshoheit behalten. Dazu müssen sie Kontakt zu allen wesentlichen Akteuren herstellen und an der einen oder anderen Stelle in den Sozialen Netzwerken stärker präsent sein.“ Dass es dabei auf die Glaubwürdigkeit der Informationsangebote ankommt, betonte Dr. Christian Kuhlicke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig: „Studien und Befragungen in Sachsen zeigen, dass vor allem die Angebote des Landeshochwasserzentrums viel Vertrauen genießen und 2013 entsprechend nachgefragt waren – dies ist ein Pfund, mit dem man noch stärker arbeiten kann.“
Eine Einbeziehung der Freiwilligen in die Arbeit der Katastrophenstäbe, aber auch klare Ansprechpartner an einzelnen Einsatzstellen wünschte sich Daniel Neumann, der 2013 über das Soziale Netzwerk Facebook die Bürgerinitiative „Fluthilfe Dresden“ gegründet hatte. Binnen weniger Stunden hatte diese während der Flut etwa 50.000 Adressaten erreicht: „Wir wollten Hilfesuchende und Helfer schnell und unkompliziert verbinden“, erklärte er. Dabei sei es bei bis zu 80 Meldungen in der Minuten schwierig gewesen, Rücksprache mit offiziellen Stellen zu halten: „Klar ist: Viele Menschen wollen im Katastrophenfall helfen und wenn sie kein Angebot erhalten, schaffen sie sich selbst eines.“ Eine Rolle spielten die Nutzer Sozialer Medien auch für die journalistische Berichterstattung, bestätigte Sven Jahny, Produktionsleiter Telemedien beim Mitteldeutschen Rundfunk: „Sie sind zusätzliche Quellen, die aber auch mit großem Aufwand verifiziert werden müssen.“ Der Aufgabe der Qualitätssicherung hätten sich öffentlich-rechtliche wie private Medien zu stellen: „In Zukunft sind wir immer häufiger Gatewatcher als Gatekeeper“, so Jahny.
Die Tagung „KommunikationsFluten“ wurde organisiert vom Europäischen Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK). Das EIJK widmet sich dem Themenfeld „Krisenkommunikation“ aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven. Der akademische Verein erstellt unabhängige Analysen, Studien, Gutachten und Konzepte für Akteure in im Journalismus-, Medien- und Kommunikationsbereich. Das gemeinnützige Institut vereint unter anderem Akademiker der Universität Leipzig und der Handelshochschule Leipzig (HHL). Auf internationalem Level kooperiert es etwa mit der University of Westminster/ Großbritannien und der Ghent University/Belgien.
Die Fachtagung „KommunikationsFluten“ wurde mit freundlicher Unterstützung des HochwasserKompetenzCentrums e.V, der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig und dem Institut für Angewandte Informatik e.V. veranstaltet.
Hintergrund
Wassermassen und Kommunikationsfluten
Die Hochwasser 2002 und 2013 gingen als "Jahrhundertkatastrophen" in die Geschichte Mitteleuropas ein. Auch zahlreiche Kommunen in Sachsen waren von starken Überschwemmungen betroffen. Allein 2013 mussten etwa 33.700 Bewohner des Freistaates aus ihren überfluteten Dörfern evakuiert werden. In jenem Jahr waren zehntausende Rettungskräfte und Katastrophenschützer im Einsatz – ebenso eine überwältigende Zahl freiwilliger Fluthelfer.
Kommunikation war in diesen dramatischen Tagen existentiell
"Welche Dörfer müssen evakuiert werden? Wo werden Sandsäcke gebraucht? Wie können sich Helfer koordinieren? Wo kann sich die Bevölkerung informieren? Was leisten Massenmedien und Soziale Netzwerke?"
Im Katastrophenfall ist der Informationsfluss von grundlegender Bedeutung. Behörden, Rettungskräfte und Bevölkerung benötigen umfassende Kenntnis der Lage, um zielgerichtet und effektiv handeln zu können. Die geographischen Voraussetzungen machen dabei eine grenzüberschreitende Kooperation notwendig.
Zwei Jahre sind seit dem letzten Hochwasser vergangen. Mittlerweile liegen einige Analysen über Informationsströme und Kommunikationsabläufe vor. Über diese möchten wir reflektieren – und laden Sie herzlich ein, an diesem Erfahrungsaustausch teilzuhaben. Auf der internationalen und interdisziplinären Fachtagung „KommunikationsFluten“ werden Wissenschafter, Medienmacher, Behördenvertreter und Katastrophenschützer über offene Problemlagen und innovative Lösungen miteinander ins Gespräch kommen:
Im ersten Panel der Fachtagung wurde das Vorgehen der zentralen Kommunikatoren in Sachsen untersucht: In welchem Umfang hatten die Massenmedien, die Rettungsorganisationen und der behördliche Katastrophenschutz Zugang zu relevanten Informationen und mit welcher Resonanz verbreiteten sie diese? Welche Rolle spielten Soziale Medien bei der Information und Koordination der Helfer beim jüngsten Hochwasser 2013? Es hat uns sehr gefreut, in diesem Panel Vertreter des MDR, der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. (Sachsen), des Katastrophenschutzes der Bundeswehr im Direktionsbezirk Leipzig, den Initiator einer Social Media-Bürgerinitiative sowie die Stellvertretende Geschäftsführerin des Sächsischen Landkreistages begrüßen zu dürfen.
Das zweite Panel der Fachtagung widmete sich der wissenschaftlichen Analyse sowie innovativen Forschungsprojekten. Hans-Peter von Kirchbach, Vorsitzender der Kommission zur Untersuchung der Flutkatastrophen 2002 und 2013, wird seine Erfahrungen teilen. Dr. Christian Kuhlicke (UfZ) präsentiert Ergebnisse einer Langzeitstudie zur Krisenkommunikation in Sachsen und Dr. Jan Daňhelka (Tschechisches Hydrometeorologisches Institut – ČHMÚ) ging auf die Informationsflüsse zwischen tschechischen und deutschen Behörden ein. Prof. Heyer (Universität Leipzig) und Dr. Raffaella Panizzon (Universität Padua, Italien) stellten mit dem Projekt Slándáil ein System vor, mithilfe dessen Social-Media-Informationen für ein besseres Krisenmanagement analysiert und genutzt werden können.
Eine Podiumsdiskussion mit Experten zog Bilanz der Tagung und stellte sich der Frage, wie sich Krisenkommunikation in Zukunft gestalten lässt. Auf dem Podium konnten wir Veronika Lowke, Prof. Gerhard Heyer, Daniel Neumann und Prof. Joachim Scharloth begrüßen.